Mittwoch, 9. Oktober 2013

Zeitunglesen am Bahnhof


Ich sass am Bahnhof im Wartehäuschen und tat, was zu tun war. Ich wartete und las die Zeitung. Ein Säufer kam herein und setze sich auf den freien Platz neben mir. Ich nickte ihm zu und versuchte ein Gespräch zu vermeiden. Er linste in meine Zeitung.
„Scheiss Solarzeugs! Sin‘ eh alles Abzocker und Betrüger!“
„Mhm…“ 
Ich blätterte weiter. Er fummelte nervös an seinen Schuhen und an seinen Hosenbeinen herum. Ich räusperte mich, was er fälschlicherweise als Zeichen verstand.
„Alles faule Schweine, diese Griechen!“
„Mhm…“
Ich blätterte weiter. Er rutschte auf der Bank hin und her und versuchte einen weiteren Blick auf die Zeitung zu erhaschen.
„Kondome für Tiere! So‘n Schwachsinn! Würden lieber mal was Gutes erfinden, nee?“
„Mhm…“
„Nicht seh‘ gesprächig, was Kumpel? Mussde dich konzentrieren?“
Der Scheisser ging mir auf die Eier. Ich übersprang den Wirtschaftsteil aus Angst vor geistreichen Kommentaren zur Börsensituation und blätterte zum Sport.
„Na, die Flaschen habn wieder schööön auf die Fresse gekriegt, was? Paar Spiele gewonnen un‘ schon habnse das Pulver verschossen!“
„Hmmmmm… M….Hmmmm….“
„Ah, die Sau ist geil! Was machtse denn? Das ist doch die, die Tennis spielt?“
Ich konnte der Versuchung knapp widerstehen zu antworten, dass eine Frau, die gerade einen Aufschlag mit einem Tennisschläger macht, wohl keine verdammte Skifahrerin sei. Doch meine Zurückhaltung half nichts, der Kerl kam langsam in fahrt.
„Nationalmannschaft im Arsch! Sind alles Ausländer da! Sollnse mal besser Nationenmannschaft nennen. Nee, noch besser, Auslandsnationenmannschaft!“
Da musste er aufgrund seines eigenen Wortwitzes derart heftig lachen, dass er zu husten und zu röcheln anfing. Er blickte mich panisch an und deutete mit seiner Hand auf seinen Rücken. Geschlagen hätte ich ihn wirklich gerne. Stattdessen stand ich auf und streckte ihm die Zeitung hin.
„Hier, Kumpel, kannst sie noch fertig lesen.“
Ich sah noch, wie er sich mit hochrotem Kopf auf die Brust schlug, dann ging ich raus und sah, dass mein Zug bereits um die Kurve kam.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen