Es war noch
dunkel, als ich morgens ins Büro kam. Die schwächliche Herbstdämmerung
versprach einen dunklen, tristen Tag. Wieder mal. Ich hängte meinen Mantel auf
und setzte mich an meinen Schreibtisch. Auf der Tastatur lag eine Notiz,
offenbar vom Redakteur: „Artikel WIE MAN DIE WELT VERBESSERN KANN. Bis 16:00!“
Okay. Endlich wurde ich mal gefordert.
Ich hatte schon viel gelernt, seit meinem Praktikum und ich dachte mittlerweile auch wie ein Journalist. Ich fing an, mich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Um Misststände zu beheben, muss man sich diese zuerst vor Augen führen. Quasi
alles sammeln, was scheisse ist. Ich begann voller Enthusiasmus mit einer Aufzählung. Hier ein Auszug: Elitäre Machtstrukturen. Fast Food. Materialistische
Wertvorstellungen. Leere Zuschauerränge. Inkonsequente Geschlechtergleichstellung.
Recycliertes Papier. Globale Konglomerate. Frigide Frauen. Soziale Netzwerke.
Hierarchische Strukturen. Bevölkerungswachstum. Überalterung. Volksverblödung. Massagen
ohne Happy End. Massenmedien. Soziale Ungleichheit. Steigende Bierpreise.
Schlechte Schiedsrichter. Klimaungleichgewicht. Unrasierte Frauen. Erfolgsorientierte
Menschen. Egomanen. Reality TV. Schlafmangel. Psychische Erkrankungen.
Kriegsindustrie. Politik. Smartphoneakkus. Gluten und Glutenfreies. Luxus. High
Society. Vorstände. Statuten. Überstunden. Deutsche Comedians. Kreuzbandrisse.
Casting Shows. Meetings. Small Talk. Etikette… Und so weiter, und so weiter.
Kurz vor der Mittagspause hatte ich soviele Missstände gesammelt, dass ich
erstmal kacken musste. Die Masse an Problemen überforderte mich. Ich resignierte. Das wars! Ich hatte meine Chance. Probezeit und raus! Was soll's. Ich bemitleidete mich eine Weile, aber dann entdeckte ich die Lösung zu all
meinen Problemen: Ich musste DAS Problem werden! Es war ganz einfach. Wenn ich glaubhaft darstellen konnte, dass ich für all die Scheisse verantwortlich war, dann konnte ich mich
als alleinige Problemquelle ausmachen. Was in gewissem Sinn auch stimmte. Denn
jeder Einzelne ist mitverantwortlich für Probleme, welche die Allgemeinheit
betreffen. Und da man primär sich selbst ändern kann, macht es Sinn sich
selbst als Hauptproblem zu identifizieren.
Ich war
begeistert von meinem Einfallsreichtum, trotz der etwas pathetischen Auslegung
der Aufgabenstellung. Ich schrieb wie
ein Teufel. Die Mittagspause war gestrichen, ich war zu sehr in Fahrt. Es war
magisch. Die Gliederung des Artikels ergab sich wie von selbst und die Wörter
flossen aus mir raus als würde ich sie ausschwitzen. Mein Plädoyer zur Rettung und
Erhaltung der Welt, der Menschheit und allem was sonst noch erhaltenswert war, wurde brilliant. Ich schloss mit der durchaus überraschenden Erkenntnis, das man mich
beseitigen müsse, da dies die einzige Möglichkeit sei, wie man die Welt nachhaltig
verbessern, ja gar retten könne. Das meinte ich natürlich nur metaphorisch und sollte nicht nur für mich, sondern für den Mensch als Spezies gelten. Stolz druckte ich meinen Artikel aus und brachte ihn dem
Redakteur zur Prüfung. Deadline eingehalten, Vorgaben erfüllt! Ich war
zuversichtlich.
Seither bin ich
auf der Flucht vor der Staatsgewalt. Besser gesagt, vor den Staatsgewalten.
Denn der Redakteur hat unmittelbar nach dem Durchlesen meines Artikels die
Behörden verständigt. Die interpretierten meinen Artikel als Geständnis eine
Bedrohung für die Menschheit zu sein. So wurde die Armee eingeschaltet und das
Ganze weitete sich zu einer internationalen Angelegenheit aus. Zwischen zwei
Kaffeepausen wurde ich zum Staatsfeind Nummer 1, innerhalb einer Woche zum
erklärten Todfeind der Menschheit. Ich kann nicht verraten wo ich mich momentan
befinde. Aber ich möchte gerne klar stellen, dass mein Artikel kein Geständnis
war und ich meine Aussagen widerrufe. Um es noch mal ganz deutlich zu
schreiben: Ich bin NICHT an allem Elend dieser Welt schuld und ich bin KEINE
Bedrohung für die Menschheit. Bitte lasst uns wieder Freunde sein. Okay?