Mittwoch, 30. Oktober 2013

Der himmlische Krieger

Ich sprach gerade mit dem Barkeeper über die Wichtigkeit frischer Limetten in Daiquiris, als der Kerl neben mich trat und dem Barkeeper mit tiefer Stimme zuraunte:
„‘n Bier. Gross.“
Ich sah den Kerl aus den Augenwinkeln an. Zuerst dachte ich, dass ich schon besoffen sei. Aber als ich meinen Kopf drehte, stellte ich fest, dass ich richtig gesehen hatte. Er war mindestens zwei Meter gross und auch fast so breit. Er trug eine Lederjacke mit Fransen und Aufnähern, zerschlissene Jeans und hatte lange Haare. Auf der Rückseite seiner Jacke war ein Emblem mit einem grimmigen Kopf mit Flügeln.
Darunter stand Heavenly Warriors MC. Mein messerscharfer Verstand kam zum Schluss, dass es sich hierbei um einen Biker handeln musste. Ich war stolz auf meine Beobachtungsgabe, aber mir wurde zunehmend unwohler. In der Kneipe war es mucksmäuschenstill geworden. Der Barkeeper zapfte das Bier und stellte es ihm hin. Er nahm es wortlos entgegen und leerte das Glas mit einem langen, grossen Schluck. Er bestellte noch eins und rülpste gefühlte zehn Sekunden lang.

Ich versuchte möglichst unauffällig zu wirken und nippte konzentriert an meinem Drink. Nicht auffallen, ja nicht auffallen, sagte ich mir. Ich starrte geradeaus, bemerkte aber, dass ich im Spiegel hinter der Bar genau auf den Biker starrte. Mir wurde übel und Schweissperlen sammelten sich auf meiner Stirn. Der Kerl bekam sein zweites Bier. Diesmal liess er sich etwas Zeit und leerte nur die Hälfte mit einem Schluck. Ich spielte mit dem Gedanken unauffällig zu verschwinden. Entweder aufs Klo gehen und warten, bis der Kerl weg war oder gleich raus aus der Kneipe. Dann müsste ich aber zuerst noch meinen Drink bezahlen und das könnte seine Aufmerksamkeit erregen. Das ist genau das, worauf Typen wie der warten: Irgendeinen Grund, um einen anzupissen und Stunk zu machen. Ich war nun überzeugt, dass er es auf mich abgesehen hatte. Er schien auch immer näher zu mir rüber zu rutschen. Vielleicht war er auch eine Tunte, die einen Loverboy für die Nacht suchte. Aber nicht mit mir! Da konnte mich der Schweinekopf meinetwegen abstechen oder zu Hackfleisch verarbeiten. Ich war zwar einen Kopf kleiner und wohl nur halb so schwer, aber an mir würde er schwer zu beissen haben.

Plötzlich donnerte seine Stimme in mein Ohr:
„He Kleiner!“
Ich zuckte zusammen. Das Herz rutschte mir aus dem Arsch, fiel auf den Boden und rannte davon.
„Kennst du Jesus?“ Fragte er mich. Er hatte sich mittlerweile komplett mir zugewandt. Ich dachte, er meinte einen spanischen Kumpel aus seiner Motorrad Gang oder so.
„Ich… Ehm, bin nicht sicher…“
„Der Messias, Sohn Gottes, der Erlöser der Menschheit? Der für deine, DEINE Sünden gestorben ist, um dir den Pfad ins Paradies zu ebnen? Kennst du Jesus?“
„Äh, ja…“
„Ich meine, kennst du Jesus WIRKLICH? Kennst du seinen Weg und sein Reich? Kennst du seine Gnade und sein Wirken?“
„Äh, nein…“ 

Der Kerl lachte laut auf und schlug mir auf die Schulter. Ich war überzeugt, dass dies kumpelhaft gemeint war, aber es fühlte sich an, wie von einem LKW angefahren zu werden. Er bestellte je ein Bier für uns beide und begann von Jesus zu schwärmen. Er erzählte mir von seinen Sünden, die ihm durch Jesus vergeben worden sind und von der Einsicht, die er erlangt hatte. Wir unterhielten uns eine ganze Weile. Die verkrampfte Stimmung in der Kneipe war verflogen. Alle lachten und redeten, tranken und lärmten. Der Kerl sagte, sein Name sei Gabriel und er sei Mitglied bei einem christlichen Motorrad Club. Zum Abschied gab er mir noch einen Flyer vom nächsten Gottesdienst der Heavenly Warriors. Ich versprach ihm, darüber nachzudenken. Das tat ich wirklich. Ich fragte mich, wie schlimm es um mich stehen müsse, wenn ein Kerl wie Gabriel versuchte mich zu erretten. Immerhin hat er mir ein Bier bezahlt.

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