1.
2017, bereits der vierte Tag. Es ist an der Zeit auszubrechen, durchzudrehen, Wahrheit aufs Blatt tropfen zu lassen. Die Essenz des Lebens lässt sich vielleicht nicht durch einen spontanen Wortschwall festhalten, aber zumindest die unbändige Energie und die Wut und der Trotz einer eingesperrten Seele. Ich bin vielleicht kein Poet, aber ich habe mich über dreissig Jahre lang abgemüht und gequält, durch Wüsten geschleppt und aus Sümpfen gezogen, gegen Schlangen und Ratten gekämpft, auf diesem und jenem Parkett getanzt und mir dabei manche Narbe geholt. So sieht es aus!
Versucht doch mal, in einer Welt voller Heuchler und Lügner ehrlich zu sein. Versucht in einer Maskerade euer Gesicht nicht zu verlieren. Versucht euch selbst treu zu bleiben, wenn das Spiel Sell-out heisst. Ja ja. So einer bin ich. Vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich trage ich mal wieder zu dick auf. Ich bin selbst zu schwach und vergesse meine Prinzipien öfter als ein Dementer seine Hausschlüssel. Also doch alles Kacke, Selbstmitleid, Trübsal blasen und alles Scheisse? Wer weiss, wer weiss. Das Jahr ist noch jung. Der Text ist noch kurz. Aber besser wird er nicht mehr.
2.
Mit dem neuen Jahr kam auch der Schnee. Die stechende Kälte war schon zuvor gekommen. Die Landschaft hat sich in einen vielschichten Mix aus Schnee, Nebel und Dunst verwandelt. Je nach Tageszeit und Bewölkungsgrad bot dies entweder ein betörend schönes oder ein grausam trostloses Bild. Die Vorstellung, dass die Luft gefriert, ist zwar unsinnig, sie drängt sich aber auf, sobald man die Wärme der geheizten vier Wände verlässt und sich todesmutig in die erbarmungslose Kälte wagt. Wie wohl Tiere da draussen überleben? So dick können doch keine Felle und keine Fettschichten sein, als dass man nicht jämmerlich friert. Wie kann die Natur bloss so hart sein? Der Winter ist ein alljährliches Phänomen, zumindest in unseren mitteleuropäischen Breitengraden und trotzdem ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, wie sich die Welt in ein paar Monaten verändern kann. Alles wird kahler, kälter, tot.
3.
Überhaupt guter Vorsatz: Ordnung ins Leben und ins Denken bringen.
4.
Ein Mensch, der üblicherweise zu Trägheit und Unproduktivität neigt, erfreut sich an einem mässig produktiven Tag, da er – für seine Verhältnisse – viel geschafft hat und seine Konzentration länger als sonst hoch halten konnte. Ein extrem fleissiger und produktiver Mensch mag aufgrund einer für ihn ungenügenden Leistung Verzweiflung und Frustration verspüren. So erklärt es sich, dass Menschen das gleiche leisten können und trotzdem nicht die gleiche (subjektive) Leistung erbracht haben. Wertet man nun die Leistung des Trägen als besser, weil er endlich mehr geschafft hat als üblich oder die Leistung des Fleissigen, weil er normalerweise mehr schafft und er sich dadurch einen Bonus erarbeitet hat, es ihm quasi verziehen sei, dass er auch mal einen schlechten Tag einzieht? Oder stuft man beide Leistungen in einer kurz- und in einer langfristigen Betrachtung ein, wobei die kurzfristige gleichwertig ist, die langfristige aber zugunsten des Fleissigen ausgeht? Eine weitere Frage, die sich stellt ist, ob man sich dazu verleiten lässt, den Wert der beiden Menschen aufgrund ihrer Leistungen zu bemessen.
5.
Plötzlich versinke ich wieder in einer tiefen Lethargie. Die kleinste Handlung wird zur unwahrscheinlichsten Unmöglichkeit. Jede Entscheidung wird zu einem Kraftakt. Mein Denken fühlt sich gebremst und erschwert an. Vergleichsweise als würde man in tiefem Wasser laufen. Trotzdem ist es mir möglich, Gedanken zu fassen und zu formulieren. Aber was dabei herauskommt ist ein anstrengender Prozess, der zu einem erzwungenen Resultat führt. Ich möchte am liebsten regungslos dasitzen. Nichts tun müssen, mit niemandem zu tun haben. Alleine und in Ruhe gelassen. Ich fühle mich schwach, klein, erbärmlich. Warum kann ich mich nicht einfach zurückziehen und alleine sein? Es bleibt der Zwang, funktionieren zu müssen. Fröhlich zu erscheinen. Gesund und munter. Ein Quell der Lebensfreude zu sein. Der psychischen Gesundheit. Der effizienten Produktivität. Mein Gehirn scheint mich heute im Stich zu lassen. Alle scheinen mich im Stich zu lassen.
6.
Das menschliche Nervenkostüm ist ziemlich dick. Wenn man sich vor Augen führt, wie robust die Psyche ist und was man alles aushalten kann, dann kann man nur staunen. Wenn man die Nerven aber überspannt, dann reissen sie wie die Saiten eines Streichinstrumentes. Das ist dann der kritische Punkt, an dem man sich bewusst machen muss, wie man mit dieser Krise umgehen will. Da es keine Option ist, die Kontrolle zu verlieren, muss man einen Weg finden, wie man sich entspannen kann und die nervliche Belastung entweder reduzieren oder ausblenden kann, bis man sich wieder in einer stärkeren mentalen Verfassung befindet. Das Erkennen der eigenen Befindlichkeit und eine angemessen Reaktion darauf zu finden verlangt eine gewisse Selbstreflexion und ein gesundes Mass an Beherrschung, um sich auf gesunde Weise in einen erholsamen Zustand zu begeben. Das heisst, ohne Drogen oder andere Substanzen und ohne Überreaktionen, sondern in kleinen aber sinnvollen Schritten. Darüber wäre ein Buch zu schreiben, obwohl es davon bestimmt schon etliche gibt – „über die Kunst nicht auszuflippen“. Alternativ „über die Kunst nicht Amok zu laufen“. Evtl. ist dies aber zu dramatisch formuliert. Aber reisserisch verkauft sich schliesslich besser.
7.
Es ist erschreckend, wie schnell ich wieder dem Stumpfsinn verfalle. Ein Morgen reicht aus, um meine Synapsen zu kappen und einen einschläfernden Schleier über meine Denkfähigkeit zu legen. Dabei weiss ich, dass ich es in der Hand habe, mich dagegen zur Wehr zu setzen. Es liegt an mir, durch bewusste Entscheidungen einen anderen Weg einzuschlagen. Einen Weg, bei dem mein Leben nicht eine sinnlose Existenz ist, ein «tägliches Absitzen der Zeit», sondern etwas Bedeutungsvolleres, etwas was Spuren hinterlässt. Diese Spuren können aus meiner Sicht fast nur aus einem Werk bestehen. Da meine Arbeit (mein Job) kein solches Resultat zu Tage fördert, muss diese entweder ändern (eine neue suchen) oder mein Werk auf anderen Wegen anfertigen (Schreiben?). Auch in der Bildung und in dem erlernen neuer Fähigkeiten könnte mein Heil liegen, aber dies lässt sich nur in begrenztem Masse hier – an diesem physischen Ort – bewerkstelligen. Zum Lesen sind beispielweise nicht die richtigen Voraussetzungen vorhanden, was die Konzentration und die Ruhe angeht.
8.
Aktuelles Thema Pragmatismus: Mit dieser Denkrichtung müsste ich mich eingehender beschäftigen, prüfen welche praktischen Implikationen ein pragmatisches Denken hat. Dies wäre dann angewandter Pragmatismus. Theoretischer Pragmatismus mag vielleicht sogar ein Widerspruch in sich sein. Gedankliche Widersprüche, gegensätzliche Positionen, die keinerlei Auswirkungen auf die praktische Realität haben, sind Themen, mit denen es gemäss dem Pragmatismus unnötig ist, sich zu beschäftigen. Gibt es einen freien Willen oder ist alles determiniert? Spielt doch keine Rolle, das Resultat in der konkreten Lebenswelt ist dasselbe, weder die eine noch die andere Position lässt sich beweisen oder widerlegen. Das Denken auf das praktische Resultat ausrichten, kompromissbereit und rational sein, dass zeichnet einen pragmatischen Ansatz aus.
9.
Der Herbst bricht sanft über das Land herein. Es ist wieder diese Zeit, die mich innerlich schwingen lässt, die mich antreibt kreativ zu sein und vor allem zu schreiben. Meine Disziplin ist nach wie vor meine Schwäche. Sogar wenn ich mir ein bescheidenes Ziel setze, wie etwa jeden Tag ein paar hundert Wörter zu schreiben, so erreiche ich dies nicht. Ich prokrastiniere. Ich spiele. Ich drifte ab. Mein Geist muss sich wieder sammeln und auf den Punkt fokussieren. Den Punkt, den ich mir selbst als Ziel setze und den ich fortan mit meinen gedanklichen und körperlichen Bemühungen ansteuern muss. Nur ein zielgerichteter und ausdauernder Geist kann sein Potential vollständig entfalten. Ich mag mein Potential überschätzen, aber ich bin sicher, dass ich deutlich mehr auf dem Kasten habe, als ich heute erahnen lasse. Vielleicht bin ich der Einzige, der an mich glaubt oder der versteckte Fähigkeiten in mir vermutet, aber das ist egal. Es gilt, die eigenen Überzeugungen in Taten umzumünzen und sich auf den Weg zu einem fernen Ziel zu machen. Die Hobbits marschierten los um als Gefährten ein waghalsiges Abenteuer zu bestehen. Mein Weg mag mich nicht durch Mordor führen, aber doch durch dunkles und unbekanntes Terrain. Raus aus der Komfortzone, rein in die ungewisse Gefahren der geistigen Herausforderungen.
10.
Es geht mir gut. Das ist die Erkenntnis, die sich nach sorgfältigem Abwägen einstellt. Natürlich ist mein momentaner Job nicht erfüllend, aber das Ende ist in Sicht und zumindest habe ich einigermassen Zeit und Ruhe, sowie ein regelmässiges Einkommen. Der Herbst ist angebrochen, das ist eine kalte und trostlose Jahreszeit, aber heute scheint die Sonne und die Farbenpracht der Blätter ist eine Augenweide. Mein Körper fühlt sich müde und schwach an, aber gesundheitlich geht es mir alles in allem gut. Ich hätte gerne mehr Freizeit, aber immerhin habe ich einen freien Feierabend, kann vielleicht auf dem Balkon sitzen, lesen, eine Weile dösen, meditieren und Musik hören. Ich muss nicht alleine sein, ich werde geliebt. Das Leben ist gut, mit all seinen Dilemmas und Prüfungen, seinen Schwierigkeiten und Rückschlägen. Die alte Leier: Wäre der Morgen heute nicht dermassen kalt, grau und neblig gewesen, dann wüsste ich die zarten Sonnenstrahlen am Nachmittag nicht in gleichem Umfang zu schätzen. Bevor ich mich aber in Floskeln verliere, ziehe ich weiter zu dem nächsten Absatz und damit zum nächsten Gedanken.
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